Kolumne: Pokémon Go... Away, Please!

Das
Allerschlimmste an der Sache übrigens: Ich besitze überhaupt kein
internetfähiges Smartphone! Das heißt, wenn ich plötzlich im hohen Gras über
ein Rattfratz, ein Knofensa oder doch ein Abra (die Mistviecher, die immer
sofort verschwinden, wenn man sie nicht mindestens mit Meisterbällen bewirft!)
stolpern sollte, könnte ich sie trotzdem nur manuell fangen – und wer schleppt
schon ständig einen Beutel voller Pokébälle mit sich herum?
Anfang der Neunziger geboren bin ich natürlich der Inbegriff der „Generation Pokémon“ (die übrigens etwa gleichzeitig mit der „Generation Harry Potter“ wie ein Pilz (oder ein Duflor) aus dem Boden schoss und bei mir keinesfalls miteinander konkurriert, sondern in Symbiose und ewig-nostalgischer Kindheitserinnerung fortlebt, egal ob zwischen mittlerweile verblichenen Buchseiten immer dicker werdender Zaubereiwälzer oder auf dem winzigen, flackernden Bildschirms meines völlig aus der Mode gekommenen Gameboy Colors. Gonna catch’em all!). Ich verbrachte meine Grundschulzeit als Dorfkind zu gleichen Teilen beim Spielen auf der Straße und im Wald, an der Seite von Harry, Ron und Hermine durch Hogwarts streifend und knöpfchendrückend auf der Jagd nach kleinen Mini-Monstern. Bis heute bin ich nicht nur imstande, plötzlich auftauchende Todesser mit einem kleinen Schnippen meines Zauberstabes („Expelliarmus!“) zu entwaffnen, sondern gleichzeitig auch die ersten 151 Pokémon in korrekter Pokédex-Reihenfolge wiederzugeben. (Seien wir doch mal ehrlich: Es geht einfach nichts über die erste Generation!)
Mit
dem Fortschritt der Technik verlor ich allerdings meine Pokégeisterung. Während
sich Harry brav Jahr für Jahr im selben Look in die Buchhandlungen stahl,
forderte jede neue Pokémongeneration nicht nur einen erheblicheren finanziellen
Aufwand durch die Kosten des Spiels selbst, sondern auch immer wieder die Anschaffung
einer neuen Konsole. Für mich als sparsam und nachhaltig erzogene Jugendliche
nicht nur taschengeldbedingt sondern auch prinzipiell nicht tragbar. Die
Pokémon waren für mich in ihrer Ursprungsversion stehen geblieben: Edition Rot,
Blau und Gelb. Selbst die Anime-Serie habe ich nie weiter verfolgt als bis
Staffel drei.

Es
scheint, der Traum einer ganzen Generation und deren Eltern sei plötzlich wahr
geworden: die langsam in die Jahre kommenden Neunziger-Nerds erfreuen sich an
der ersten Pokémonjagd in freier Wildbahn, während sich ihre noch weiter in die
Jahre gekommenen Eltern darüber freuen, dass die bleichen Stubenhocker endlich
einmal an die frische Luft kommen (und sei es nur, um endlich mal ihr Zimmer zu
lüften, die leeren Pizzakartons wegzuwerfen und das Bett neu zu beziehen).
Wenn
es denn so einfach wäre. Schließlich besteht unsere Generation nicht nur aus
sozial inkompetenten Videokonsolenjunkies. Dem Pokéwahn verfallen waren damals
ein Großteil der Jungen und eine nicht unerhebliche Zahl an Mädchen, und wenn
heute irgendwo ein Pokémonevent stattfindet, schwankt der Altersdurchschnitt
wohl in der Regel so zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Dreißig. Aber sich selbst
in Lebensgefahr begeben oder die Privatsphäre anderer und die Grenzen des guten
Geschmacks übertreten, nur um sich ganz dem Spiel einer App hinzugeben? Liebe
Altersgenossen, Ersteres macht man nur in der Safarizone, und irgendwo muss
doch wirklich einmal Schluss sein! Ich hätte ja nichts gegen Spieler fernab von
Gefahrenquellen wie Verkehr und großen Menschenansammlungen – warum nicht
räumlich eingeschränkt, wie beim Geocaching? Quasi Pokécaching. In der Natur,
auf Waldwegen und in ausgezeichneten Gebieten. Im Spiel fängt man seine
Pummeluffs schließlich auch nicht vor der McDonalds-Verkaufstheke, auf dem Grab
der Urgroßtante oder im Krematorium eines Konzentrationslagers. Auch wenn sich
dort bestimmt sowohl Feuer- als auch Geist-Pokémon ausgesprochen wohl fühlen
dürften.
Ich
persönlich hoffe, dass der „Pokémon Go“-Wahn so schnell abebbt, wie er aufkam.
Ansonsten versuche ich, mit dem Hype so umzugehen, wie mit jedem
wiederkehrenden Fußballgroßevent: Mit Kulleraugen dumm aus der Wäsche gucken,
den Kopf schütteln, die Schultern zucken und jede Bemerkung anderer mit „Juckt
mich nicht“ kommentieren. Dann koche ich mir einen völlig realen Trank, gönne
mir ein, zwei Sonderbonbons und begebe mich auf meinen Balkon, in der Hoffnung,
dass niemals ein „Pokémon Go“-Spieler herausfindet, dass dort zwei wahnsinnig
süße, reale Glumandas leben…
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