Huch, ein Buch! - ein Bericht

16.50 Uhr

Sabine und Jenny von LizzyNet lassen nicht lange auf sich warten. Von innen erweist sich das ‚Rumpelstilzchen‘ als ein faszinierender Mix aus Irish Pub, deutscher Eckkneipe und dem ‚Tänzelnden Pony‘, wie ich es mir vorstelle. Wir bestellen Mineralwasser (sonst für mich immer "mit Gas", aber vor Lesungen sind alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt) für alle und inspizieren die Karte… ein wenig Vorstellungskraft ist vonnöten. Ein klein wenig. Oder viel Geduld, um die mehrere Zeilen langen Beschreibungen der Gerichte zu verstehen, denn statt Pizza Funghi oder Tonno serviert man hier „Schinipizzel“, „Christos Burger“ und „George Clooney“, und während ich noch überlege, ob ich lieber Danny Ocean oder einen mit Laken verhüllten Burger auf dem Teller hätte, bemerkt LizzyNet-Sabine: „Bei jedem dieser Gerichte denkt man zuerst ‚Och, ganz nett‘, und dann liest man die letzte Zutat und dann ist das irgendwas Fieses.“ Eine sehr prosaische Feststellung, aber wahr. Ich entscheide mich für die Pizza „Spartakus“ mit Pilzen, Paprika, Tomaten und Spinat – eine eher ungewöhnliche, aber im Rahmen des Angebotes noch verblüffend unaufgeregte Kombination, die, ein Pluspunkt, mit keinem allzu hohen Mundgeruchsrisiko verbunden ist.


17.30 Uhr 

Das Essen schmeckt ganz gut. Interessanter sind aber die Einblicke, die Jenny und Sabine Anna, Timo und mir (Johanna steckt noch immer auf der Autobahn fest) in ihren Beruf als Onlineredakteure und, in Sabines Fall, Hörspiel-Autorin geben. (Und uns hinter vorgehaltener Hand den Tipp geben, lieber Hörbücher als popelige Romanprosa zu schreiben, wenn wir uns irgendwann einmal mehr als Rumpelstilzchens „Rumpel“-Pizza (exklusiv für 9,90€) leisten wollen. Ich mache mir eine geistige Notiz.)

Vor Flieder fotografieren kann ja jeder. Mein Male-Model rechts im Bild.

17.43 Uhr

Sabine und Jenny wollen unbedingt noch Fotos von uns an der Russischen Kapelle machen. Immerhin sollen wir noch mit Interview auf LizzyNet vorgestellt werden. Ich bin ein Glückspilz: als einzige bekomme ich für mein Foto ein Male-Model zur Verfügung gestellt … (Zu allen Fotos und dem LizzyNet-Rückblick über GreenFiction 2015/16 geht es hier!)



18.01 Uhr

Eine Stunde noch bis zur Lesung. Wir begeben uns langsam zum Veranstaltungsort – Überraschung: niemand zu sehen außer ein paar hinter Bildschirmen vergrabenen Informatikstudenten und einer Band bei der Probe, die genau so wenig Ahnung hat, wo und überhaupt ob hier in einer Stunde eine Lesung stattfinden soll. Organisatorisch einwandfrei.


Die Location. Links der Eingang zur Bühne.
18.09 Uhr

Irgendwann und irgendwie bringen Sabine und Jenny in Erfahrung, dass unsere Lesung outdoor stattfinden soll. Einmal ums Karree gelaufen und ich staune nicht schlecht: Unsere Location ist die Bühne in dem Park, an dem ich vor gerade einmal zwei Stunden entlanggelaufen bin. Da standen die großen "Huch, ein Buch!"-Aufsteller aber noch nicht … da bin ich mir sicher. (Und mache mir nur ein wenig Gedanken darüber, wie sich die Adressänderung des Veranstaltungsortes wohl auf die Zuschauerzahlen auswirken mag – so denn überhaupt welche kommen.

18.15 Uhr

Begrüßung durch Ilona Einwohlt. Sie wird die Veranstaltung moderieren und hat den ganzen Spaß in Gang gebracht. Ein Technik-Mensch stellt die Mikros ein. Im „Café“ (sieht eher nach Strandbar aus) kampieren ein paar Hippies. Ein Klo gibt es nicht, also trotten Anna und ich wieder zurück zum Unigebäude. Keine Toilette weit und breit. Auf der Suche stolpern wir in ein Großraumbüro voll nicht ansprechbarer Geeks, die nicht aussehen, als wüssten sie, wo und überhaupt ob sich in ihrer Fakultät eine Damentoilette befindet. Die Band schrammelt noch immer. Wir entdecken einen Nebeneingang. Und die Toiletten.


Unsere Lesebühne.
18.32 Uhr

Johanna ist auch eingetroffen, und wir machen noch mehr Fotos. Und einen Mikrocheck. Noch immer sind wir die einzig Anwesenden. Und der Haufen Hippies. Wir sprechen die Reihenfolge ab. Ich soll als Erste lesen, was mir ganz recht ist. 


18.59 Uhr

Zehn Zuhörer. Ungefähr. Die Hälfte davon gehört zum Team, die andere Hälfte zu Presse und Verwandtschaft. Hui. Ein jüngeres Paar kann ich nicht einordnen, sie sehen ein wenig desorientiert aus, als hätte man sie kurzfristig auf der Straße gekidnappt und zur Verstärkung des Publikums gezwungen. Soll mir recht sein. Ich zähle im Geiste einfach die etwa zwanzig studentischen Hippies vor der Bühne zum Publikum dazu – wenn wir laut genug lesen, dürfte das sogar zutreffen.


19.05 Uhr

Ilona erzählt von der GreenFiction-Ausschreibung, stellt uns kurz vor, stellt ein paar Fragen, dann bin ich an der Reihe und lese bereits zum dritten Mal den Anfang von Lonesome George vor. Dabei frage ich mich, wie es professionellen Autoren gehen mag, die wieder und wieder dieselben Stellen aus ihren Werken lesen müssen, ohne dabei jemals gelangweilt zu klingen (wenn ihnen der Verkauf ihrer Bücher am Herzen liegt). Ob die wohl ab und zu etwas am Text ändern, nur zum Spaß, um zu sehen, ob es jemandem im Publikum auffällt, sprich: ob überhaupt jemand ihre Bücher gelesen hat …?

Mach ‘nen Abgang, du Vogel“, lese ich, „hier laufen schon genug von euch Fruchtfliegenzüchtern herum!“ In dem Moment springt ein Hund auf die Bühne und umrundet hechelnd unseren Tisch. Das Publikum lacht, und auch ich kann nicht anders – war ich vorher auch nur ein bisschen nervös, so ist das jetzt definitiv vorbei. „Du kannst aber ruhig bleiben, Buddy“, sage ich zu dem Hund, der mich anglotzt und wieder zu seinen Hippie-Besitzern verschwindet. Darmstadt ist wirklich green. Ich lese weiter.


19.16 Uhr

Ich bin durch, und während die anderen lesen, lehne ich mich entspannt zurück. Allmählich werde ich müde, aber ich merke auch, wie mir Lesungen immer weniger ausmachen. Wenn ich da an meine erste Lesung vor vier Jahren zurückdenke… Meine Gedanken schweifen ab. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht abwesend auszusehen. Um mich zu konzentrieren, lese ich über Johannas und Timos Schultern mit, während sie ihre Texte Mutter Natur und Dark Garbage vorlesen. Dabei fällt mir ein: Ich hab vergessen, mein Handy auf lautlos zu schalten, es liegt neben der Bühne. Wenn es jetzt klingelt … gut, dann ist ohnehin kaum jemand da, denn es stören dürfte. Mir wird warm, obwohl ich nur ein kurzärmeliges Kleid trage und die Abendluft noch recht kühl ist. Konzentration. Ich widme meine Aufmerksamkeit wieder Anna, die gemeinsam mit Ilona von ihrer Arbeit als Mentor und Mentee erzählen, bevor sie den Anfang ihrer Geschichte Lucid Green liest.


19.44 Uhr 

Wir haben alle gelesen, und Ilona stellt uns die üblichen Umweltfragen: Kann Schreiben die Welt verändern? Hat sich deine Sicht auf die Umwelt durch die Teilnahme an GreenFiction verändert? Ich antworte, wie gewohnt, nur äußerst zurückhaltend und mit mangelnder Euphorie, wie immer in der Erwartung, dass gleich jemand im Publikum aufsteht, „Scharlatan!“ brüllt und mich mit meiner Stromrechnung bewirft. Oder so. Erzähle irgendetwas von Jutebeuteln und Anti-AKW, ohne Zusammenhang, ich bin ziemlich müde und frage mich, aus welchem Hut meine Mitschreiber ihre eloquenten Antworten noch herauszaubern. Was soll’s. Der Applaus ist trotz der fehlenden Zuhörer begeistert.


20.03 Uhr

Die ganze Veranstaltung ging so schnell vorbei – ich kann gar nicht fassen, wie schnell alle Hände geschüttelt sind, und wie schnell wir uns alle voneinander verabschiedet haben. Johanna setzt sich gleich wieder ins Auto, Timo, Jenny und Sabine und meine Wenigkeit müssen noch am selben Abend zum Zug, Anna ist die einzige, die in Darmstadt übernachtet. Gemeinsam mit Timo, Sabine und Jenny gehe ich zur Bushaltestelle, entscheide mich aber, da mein Zug erst in anderthalb Stunden fährt, zu laufen und verabschiede mich herzlich, nachdem ich etwa sieben Mal versichern musste, dass ich mit Sicherheit weiß, wie ich zum Bahnhof komme. (Haha. Hahaha.)
Meine Füße tun weh, aber ich habe ja alle Zeit der Welt. Darmstadt in der Dämmerung hat irgendwie was.



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