Buchempfehlung: Am Ende bleiben die Zedern (Pierre Jarawan)
Titel: Am Ende bleiben die Zedern
Autor: Pierre Jarawan
Genre: Roman
Verlag: Piper
Seitenzahl: 391
ISBN: 978-3-8270-7865-0
Format: eBook
Autor: Pierre Jarawan
Genre: Roman
Verlag: Piper
Seitenzahl: 391
ISBN: 978-3-8270-7865-0
Format: eBook
"Wer glaubt, er habe den Libanon
verstanden,
dem hat man ihn nicht richtig erklärt." (S.
4)
Mit diesem Zitat eines alten, libanesischen
Sprichwortes beginnt der Poetry-Slammer und Autor Pierre Jarawan seinen im Jahr
2016 veröffentlichten Roman Am Ende bleiben die Zedern. Der in Jordanien
geborene Autor mit deutschen und libanesischen Wurzeln schafft es in seinem
Romandebüt, die lyrische Sprache seiner Bühnenpoetik, die Geschichte eines über
Jahrzehnte hinweg gespaltenen Landes und das einfühlsame Porträt eines jungen
Menschen auf der Suche nach seinem Vater und sich selbst zu einer mitreißenden
Geschichte zu verflechten, der es weder an Spannung, noch an Emotionalität und
geschichtlicher wie politischer Genauigkeit mangelt. Jarawan erhielt für Am
Ende bleiben die Zedern das Literaturstipendium der Stadt München 2015,
sowie den Bayrischen Kunstförderpreis 2016.
Inhalt
Brahim El-Hourani ist verschwunden. Brahim,
1982 aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet, den man den „Geschichtenerzähler“
nennt, und der für seinen Sohn Samir die Welt bedeutet. Diese Welt bricht für
den Achtjährigen plötzlich zusammen, als sein Vater das Haus verlässt und nicht
wieder zurückkehrt. Erst zwanzig Jahre später findet Samir die Kraft, sich auf
die Suche nach seinem Vater zu machen, in dieses mystische, politisch
gespaltene Land mit den riesigen Zedern zu reisen, von denen sein Vater ihm
immer zu erzählen pflegte – Fremde und Heimat zugleich für den erwachsenen
Samir. Am Ende bleiben die Zedern erzählt in zwei Handlungssträngen von
Samirs Suche in der Gegenwart und dem Zerfall seiner Familie nach dem
Verschwinden des Vaters in der Vergangenheit, und führt zum Schluss beide
Handlungsstränge im Libanon zusammen.
Meinung
Schon vor Jahren war ich auf den
Poetry-Slammer Pierre Jarawan aufmerksam geworden, besitze auch seine Slamtext-Sammlung Anders sein ist ganz normal. Was mich an Jarawans Stil so begeistert, ist seine
unaufgeregte Poetik, wo andere Slammer laut werden, bleibt er leise, wo andere
Slammer grelle oder ausgelutschte Wortspiele und Metaphern verwenden, da findet
er kreative neue Bilder, manchmal hart an der Grenze zum Kitsch, immer etwas
blumig aber stets im Bereich des Angenehmen. Umso gespannter war ich natürlich
auf Jarawans Romandebüt – und wurde nicht enttäuscht. Auch in dem umfangreichen
Prosawerk lässt sich sein unverwechselbar poetischer Stil auf jeder Seite
herauslesen.
„Alles pulsiert, alles leuchtet. Beirut bei Nacht, diese funkelnde Schönheit, ein Diadem aus flirrenden Lichtern, ein Band aus Atemlosigkeit. Schon als Kind liebte ich die Vorstellung, einmal hier zu sein. Doch jetzt steckt mir dieses Messer zwischen den Rippen, und der Schmerz schießt in meinen Brustkorb, dass ich nicht mal schreien kann. Wir sind doch Brüder, will ich rufen [...] Ich fühle Angst in mir aufsteigen. Und Wut. Ich bin nicht fremd hier, will ich ihnen hinterherschreien. Das Echo ihrer Schritte verhöhnt mich. Ich habe Wurzeln hier, will ich rufen, doch heraus kommt nur ein Gurgeln.“ (S. 7)
Nach diesem kurzen, fulminanten Einstieg in
Samirs Gegenwart, einen Überfall, dem er in Beirut zum Opfer fällt, springt die
Handlung schlagartig zurück ins Jahr 1992 – Vater El-Hourani richtet eine
Fernsehschüssel aus, bei 26,0° Ost gibt es libanesisches Fernsehen – noch ist
alles gut. In den nächsten Kapiteln erzählt Samir aus seiner Kindheit, von
seinem Vater und dessen Geschichten, seiner Mutter, seiner Schwester, Hakim,
dem Freund seines Vaters und Yasmin, dessen Tochter – und vom Libanon, dem
Libanon, den er aus den Geschichten seines Vaters und den Nachrichten im
libanesischen Fernsehen kennt. Obwohl mir solche politischen und
geschichtlichen Einschübe in Romanen bisweilen etwas öde vorkommen, und ich
dazu tendiere, allzu umfangreiche Hintergrunddetails gelegentlich zu
überspringen, kamen mir die Informationen an keiner Stelle ausufernd vor – stattdessen
empfand ich sie als eine sehr gute Ergänzung zu Ari Folmans dokumentarischen Trickfilm Waltz with Bashir, mit dem ich mich im Rahmen eines Seminars an der Uni beschäftigt habe und
den ich in Kombination mit Jarawans Roman nur empfehlen kann.
Samirs Kindheit und die Geschichte des Libanons
begleiten wir detailliert bis zum Verschwinden des Vaters, danach wird die
Stimmung dieses Erzählstrangs ungleich düsterer und zeichnet ein Bild des
heranwachsenden Samirs, dem der wichtigste Mensch in seinem Leben genommen
wurde, seiner emotionalen Zerrissenheit und seinem Aufbegehren gegen sein
Umwelt. Nicht immer ganz nachvollziehbar und verständlich, entwickelt sich
Samir im Erzählstrang der Vergangenheit zu einem sehr egozentrischen
Protagonisten, der sich trotz zahlreicher Schicksalsschläge vielleicht ein
wenig zu aufsässig verhält.
Dieses Bild des aufsässigen, ich-fixierten Stoffels
wird von den Erzählpassagen, die in der Gegenwart stattfinden, allerdings
wieder relativiert. Der erwachsene Samir hat zwar durch die Verluste seiner
Kindheit ein Trauma zurückbehalten, verhält sich aber auf seiner Suche
in Beirut und den ländlichen Gebieten des Libanons, bei der er natürlich auch
die sagenumwobenen riesigen Zedern aus den Geschichten seines Vaters besucht,
verhältnismäßig organisiert und vernünftig. Er gewinnt neue Freunde,
Erkenntnisse über den Libanon und das Leben seiner Eltern, und trifft auf
einige Figuren, von denen er dachte, sein Vater, der Geschichtenerzähler, habe
sie bloß erfunden: das Dromedar Amir, ein Nashorn, das unbesiegbar im
Kartenspielen ist, und Abu Youssef, den Held aller Geschichten.
Ich möchte gar nicht mehr von der Handlung
vorwegnehmen. Man mag Jarawan zu großen Pathos vorwerfen, seinem Protagonisten
zu viel Egozentrik, und mir persönlich kam das Ende nach der doch sehr langen
Einleitung in zwei parallel verlaufenden Erzählsträngen ein klein wenig zu
plötzlich, aber dennoch muss ich allen winzigen Mängeln zum Trotz feststellen,
dass mich lange kein Roman mehr sprachlich so begeistert und inhaltlich mitgerissen
und berührt hat, wie das vor dem Hintergrund der sogenannten Flüchtlingskrise
erschreckend aktuelle Am Ende bleiben die Zedern. Bis zum Ende bleibt der Roman spannend und voll unerwarteter, schöner wie tragischer Wendungen, ohne auch nur einmal langweilig oder zu langatmig zu werden. Eine rundum angenehme Lektüre, die jetzt schon Vorfreude auf den nächsten Roman aus der Feder des Autors schafft.
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